4. Teil der Best-practice-Reihe des Bundesverbandes
Welche Konferenzkultur entspricht eher einer gelebten Erziehungsgemeinschaft?
Vor über 20 Jahren war ich Lehrer zunächst an der kirchlichen Cäcilienschule in Wilhelmshaven, danach am Clemens-August-Gymnasium in Cloppenburg, dann als stellvertretender Schulleiter an der Liebfrauenschule Cloppenburg. Alle drei Schulen hatten trotz unterschiedlicher gesetzlicher Grundlagen eine sehr ähnliche Schulverfassung, in der die Gesamtkonferenz das entscheidende Beschlussgremium der Schulen gewesen ist.
Wenn die Sitzordnung vorgegeben ist
Die Gesamtkonferenzen bestanden aus dem gesamten Kollegium der Lehrkräfte, einigen Elternvertretern und einigen Schülervertretern. Den Vorsitz hatte jeweils der Schulleiter. Ich erinnere mich, dass die Eltern- und Schülervertreter häufig irgendwo am Rande gesessen haben, weil die Konferenzen in den Lehrerzimmern der Schule stattfanden und die Lehrkräfte ihre angestammten
Plätze nicht verlassen wollten. Nach der Auflösung der Orientierungsstufe wurde allerdings das Kollegium am Clemens-August-
Gymnasium so groß, dass die Gesamtkonferenzen nur noch in der Aula der Schule abgehalten werden konnten. Das habe ich als insgesamt positiv erlebt, weil die Sitzordnung nicht mehr heimlich vorgegeben war.
Wenn Eltern sich nicht gesehen fühlen
Ich erinnere mich auch daran, dass vor allem die Schülervertretungen kaum sichtbar waren, weil sie ihr Teilnahmerecht an den Konferenzen nicht wahrnahmen. Nur die Mutigsten von ihnen haben sich in die „Höhle der Löwen“ getraut. Elternvertreter waren jedoch immer anwesend. Je nach Temperament konnte es durchaus vorkommen, dass Elternvertreter ihre Sicht von Schule und bestimmter Lehrkräfte sehr emotional vortrugen. Einmal eskalierte der Beitrag eines Elternvertreters derart, dass er nach seiner Schimpfkanonade wutentbrannt den Konferenzraum verließ. Inhaltlich ging es gegen die Lehrkräfte und gegen die Schulleitung. Als die Tür zuknallte, saßen alle völlig konsterniert da und schwiegen. Überzeugt hat jener Elternvertreter durch diesen furiosen Auftritt niemanden. Die Folge solcher emotionalen Beiträge war, dass Lehrkräfte auf Abwehr schalteten und Elternmitarbeit nicht mehr als konstruktiv erlebten. Mir persönlich sind die Gesamtkonferenzen jener Jahre eher als unschöne Veranstaltungen in Erinnerung geblieben. Rückblickend vermute ich, dass Eltern mit berechtigten Einwänden und berechtigten Hinweisen und Vorschlägen, die aber den Interessen des Kollegiums zuwiderliefen, ihre Ohnmacht und die Aussichtslosigkeit ihrer Beiträge gespürt haben und daher auf rhetorischen Nachdruck gesetzt haben, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Wenn wenig diskutiert wird
Die Tagesordnungen der Gesamtkonferenzen bestanden oft aus Informationen der Schulleitung, selten habe ich eine Diskussion oder ein Ringen um Beschlüsse erlebt. Einen solchen Fall habe ich selbst in einer Gesamtkonferenz gestaltet – mit schlechtem Ausgang, aber mit einem lang wirkenden Lerneffekt.
Als stellvertretender Schulleiter habe ich einmal in einer Gesamtkonferenz ein komplett neues Fahrtenkonzept für die Schule diskutieren lassen, ein Produkt einer kleinen Arbeitsgruppe, die aus einigen Eltern, Schülern und Lehrkräften bestand. Ziel war schon vor 20 Jahren, die Gesamtkosten für Schulfahrten insgesamt zu deckeln und transparent zu machen.
Ich kann mich noch sehr genau an meine Überraschung erinnern, dass das gemeinsam erarbeitete Produkt, das ich auch heute noch vernünftig finde, einhellige Ablehnung erfuhr. Kostendeckelung und Transparenz waren nicht die Argumente, die in der Gesamtkonferenz ankamen, die Weigerung des Kollegiums, sich umstellen zu müssen, war einfach stärker und wirkmächtiger. Das habe ich damals völlig unterschätzt.
Ich stand damals auf Seiten der Eltern, deren Anliegen ich verstanden habe und stark machen wollte. Die Erfahrung des „Scheiterns“ in der Gesamtkonferenz trotz guter Beschlussvorlage und trotz Beteiligung der einzelnen Vertreter hat mich damals nachdenklich werden lassen, in welcher Art von Entscheidungsgremium berechtigte Anliegen der Eltern eine größere Chance bekommen, gerade auch von Eltern mitbestimmt zu werden, als in der Konstruktion der Gesamtkonferenz.
Wenn Veränderung abgewehrt wird
Aber ich war auch ein Lehrer der alten Schule, dem es sehr schwerfiel, sich von außen die Arbeitsbedingungen vorgeben zu lassen. Ich war davon überzeugt, dass es Sache der Lehrkräfte sein müsse, die Entscheidungen selbst zu treffen, die die Schule betreffen – außer eben in finanziellen Dingen.
Aus dieser Überzeugung heraus habe ich einmal einen kurzen Aufsatz im Jahrbuch meiner damaligen Schule geschrieben, in dem ich mich für die Beibehaltung der Gesamtkonferenz aussprach. Der Grundtenor war, dass von allen bestimmt werden müsse, was sie auch betrifft. Dass ich damit (wer ist „alle“?) zu kurz gegriffen habe, ist mir im Laufe der Zeit deutlich geworden. Aber auch Lehrkräfte und Personen der Schulleitung müssen und dürfen lernen.
Ich kann mich sehr gut an eine Besprechung erinnern, die vom Schulträger in Vechta mit Herrn Dr. Verburg organisiert worden war. Herr Dr. Verburg sollte den Schulleitungen der damals noch sogenannten bischöflichen Schulen das neue Schulgesetz der Schulstiftung im Bistum Osnabrück vorstellen und erklären. Der zentrale Aspekt dabei war die Schulkonferenz, für die Herr Dr. Verburg als zentrales Entscheidungsgremium der Schulen warb. Ich weiß, dass Herr Dr. Verburg die Veranstaltung am liebsten schnell wieder verlassen hätte, weil er die (offenkundige) Ablehnung der anwesenden Schulleitungen gespürt oder zu spüren bekommen hat. Ich gehörte auch zu denen, die gerade die Konstruktion der Schulkonferenz ablehnten. Aber er blieb, weil er wusste, was sich gehörte.
Kontrasterfahrungen durch Öffnung
Einige Jahre später wurde ich Schulleiter des Missionsgymnasiums in Bad Bentheim/Bardel, einer Schule in Trägerschaft der Schulstiftung im Bistum Osnabrück. Herr Dr. Verburg wurde mein Vorgesetzter. Zu dieser Zeit hatte ich meine Vorbehalte gegenüber der Schulkonferenz zwar nicht komplett, aber doch weitgehend abgebaut. Meine damals offen geäußerten Vorbehalte gegen die Schulkonferenz stellten für Herrn Dr. Verburg kein Hindernis dar, mich als Schulleiter einer Schule der Schulstiftung für geeignet zu halten.
Und tatsächlich machte ich positive Erfahrungen mit der Schulkonferenz. Durch die Veröffentlichung der Protokolle und durch die durch das Schulgesetz gesicherte kommunikative Verzahnung von Personal- und Schulkonferenz waren die Lehrkräfte immer im Bilde, was auf der Schulkonferenz besprochen und beschlossen wurde. Die Schulkonferenz ist entgegen aller Befürchtungen keine Blackbox.
Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, dass für die erfolgreiche Durchführung einer Schulkonferenz ein guter Kontakt zu den Eltern wichtig ist – sofern Eltern den Kontakt als einen guten wünschen. Ich habe in über zehn Jahren nur ein einziges Mal erleben müssen, dass die Elternvertreter von den Mitgliedern der anderen Gruppen in der Schulkonferenz überstimmt worden sind. Da ging es um die Einführung des Nachmittagsunterrichts für die Schülerinnen und Schüler der Qualifikationsphase.
Die Elternvertreter der Schulkonferenz durften sich aber freuen, vorab äußerst detailliert über die Problematik und Notwendigkeit des Nachmittagsunterrichts informiert zu werden. Nur unter den Bedingungen der Schulkonferenz hat sich die Schulleitung einen ganzen Nachmittag Zeit genommen, mit den Elternvertretern dieses Projekt zu besprechen. Nur unter den Bedingungen der Schulkonferenz haben die Eltern ihre Sicht der Dinge ausführlich darlegen können und auf die Probleme hinweisen können, die der Beschluss für die Eltern mit sich bringen würde.
Was ist besser: Gesamtkonferenz oder Schulkonferenz? Die Antwort hängt natürlich vom Blickwinkel des Betrachters ab. Im Sinne einer gleichberechtigten Mitwirkung, die anerkennt, dass Beschlüsse der Schule eben nicht nur die Lehrkräfte und dann die Schülerinnen und Schüler betreffen, sondern häufig direkt oder indirekt auch die Eltern, und im Sinne einer gelebten Erziehungsgemeinschaft zwischen Schule und Elternhaus ist die Schulkonferenz der Gesamtkonferenz auf jeden Fall vorzuziehen.
Der Autor: Christoph Grunewald, Schulleiter des Franziskusgymnasiums Lingen, eines katholischen Gymnasiums in Trägerschaft der Schulstiftung im Bistum Osnabrück
Die Reihe: „Gesellschaft von morgen wird sein, was Schule heute ist.“ Unter diesem Leitwort trägt die Katholische Elternschaft Deutschlands (KED) Best-practice-Beispiele aus der schulischen Arbeit zusammen. Im Fokus steht die Stärkung demokratischer Werte.