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5. Teil der Best-practice-Reihe des Bundesverbandes

Raus aus der Filterblase. Lesekompetenz als Schlüssel zu verantwortungsvollem Umgang mit Medien
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Datum:
24. Jan. 2025
Von:
Monika Hermanns

Raus aus der Filterblase. Lesekompetenz als Schlüssel zu verantwortungsvollem Umgang mit Medien
Wir befinden uns in der Schulbibliothek einer bayerischen Realschule. Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse brüten dort aber nicht unbedingt über analogen Büchern, die dort in den Regalen stehen, sondern sie arbeiten vertieft zum Thema „Verbot von privatem Feuerwerk”. Sie bedienen sich dabei der App von buzzard.org, die jede Schülerin und jeder Schüler an unserer Schule auf ihrem Tablet installiert hat. Dabei werden Zusammenfassungen unterschiedlicher Zeitungsartikel auf deren Inhalt überprüft, verglichen und diskutiert.

Hitzige Diskussionen mit Tiktok-Meinungen
Doch eines nach dem anderen: Eine Kollegin fällt kurzfristig aus. Der Schulleiter fragt mich, ob ich in einer 10. Klasse einspringen kann. Obwohl die Kollegin keine Arbeitsaufträge hinterlassen hat, habe ich eine wertvolle Option. Zeit, etwas vorzubereiten, habe ich also nicht. Wir wollen über ein „Böllerverbot“ sprechen. Zuerst kocht die Stimmung hoch. Die Meinungen gehen weit auseinander. Einige Schülerinnen und Schüler argumentieren leidenschaftlich für ein Verbot, da sie die Umweltbelastung und Verletzungsgefahr durch Feuerwerk als zu hoch einschätzen. Andere führen ihre verängstigten Haustiere ins Feld. Wieder andere verteidigen auf dem Niveau von Tiktok-Clips das Bedürfnis nach privaten Feuerwerksshows und sehen darin eine Beschneidung ihrer freiheitlichen Rechte. Ich unterbreche die Diskussion durch den Ortswechsel vom Klassenraum in die Schulbibliothek und bitte die Schülerinnen und Schüler, nur ihre Tablets mitzuführen. Auch teile ich die Lernenden in Gruppen auf und gebe ihnen den Arbeitsauftrag, jeweils einen der zusammengefassten Zeitungsartikel zum Thema zu lesen und auf Argumente zu überprüfen; sie ggf. farbig zu markieren. Unsere Schülerinnen und Schüler kennen das bereits aus vorhergehenden Lerneinheiten.

Lesen als Fundament für fundierte Medienkompetenz
Unsere Schule hat sich unter anderem das Lesen und die Entwicklung von Lesekompetenz zum Ziel gemacht. Unsere Überzeugung ist, dass es die Lesekompetenz ist, die die Grundlage für weitere Fähigkeiten im Umgang mit Medien darstellt. Lesekompetenz stellt einen wichtigen Baustein im Prozess der Mediensozialisation dar. Darüber hinaus sind Schulen in einer Kultur der Digitalität mehr denn je gefordert, Medienkompetenz auszubilden. Damit ist - diese Anmerkung sei mir sicherheitshalber erlaubt - nicht unbedingt die Bedienfähigkeit an mobilen Endgeräten gemeint, sondern die Tatsache, dass Texte, Bilder und dergleichen im Netz eingeordnet und bewertet werden können müssen, um in der Folge souverän und verantwortungsvoll damit umgehen zu können. Wohl in der Hoffnung, man müsste ihnen diesbezüglich nichts mehr beibringen, wurden Kinder und Jugendliche, wie sich herausstellte, zu Unrecht früh zu „Digital Natives” ernannt. Dabei haben sie aber eben nicht wie von Zauberhand oder nur durch schmerzhafte Selbsterfahrung erlernt, sich in der Digitalität verantwortungsvoll und selbstbewusst bewegen zu können.

Austausch von Perspektiven
Aber nun zurück zur Vertretungsstunde: Durch konzentriertes, stilles Lesen beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit den unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema „Böllerverbot”. Bedingt durch die zufällige Gruppenaufteilung bewegen sie sich damit heraus aus ihrer jeweiligen Filterblase und beschäftigen sich damit mit einer evtl. ganz anderen Sicht auf das Thema. Mit buzzard.org und den dort aufbereiteten Nachrichten und Debatten funktioniert das zuverlässig auch mit anderen Themen. In der Rolle der Lehrperson bewegt man sich dabei moderierend und weitestgehend neutral und braucht daher auch keine Furcht vor „dünnem Eis” zu
haben. Der Austausch und die Diskussionen im Anschluss an die Phase des Lesens der Perspektiven aus Pro und Contra, Hintergrund, Lob und Kritik weisen in keiner Weise mehr die Energie auf, die man häufig zum Einstieg erfährt.

Passendes Unterrichtsmaterial
Im Privaten, aber auch von Kolleginnen und Kollegen, bekam ich den manchmal enttäuschten Hinweis darauf, dass buzzard.org keine tagesaktuellen Nachrichten liefere. Nun, das liegt in der konzeptionellen Auslegung des Angebotes. Bei buzzard.org werden aktuelle Themen nämlich durch eine Redaktion gesichtet, zusammengefasst und nach Perspektiven eingeordnet. Dies hilft uns und auch unseren Schülerinnen und Schülern, außerhalb der eigenen Filterblase einen multiperspektivischen Blick auf diese oft komplizierten Sachverhalte zu bekommen. Zusätzliches von buzzard.org zur Verfügung gestelltes Material für den Unterricht erleichtert die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern darüber hinaus ungemein. Als Fortbildner weise ich außerdem immer wieder darauf hin, dass sich die Debatten bei buzzard.org nicht ausschließlich für den Deutschunterricht eignen, sondern so vielfältig, wie die Themen unserer Gesellschaft eben sind, in fast allen Fächern aufgegriffen werden können.

Kosten und Förderung
buzzard.org ist frei von Werbung und finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, nach einer 14-tägigen kostenlosen Testphase. In meinem Fall hat sich unser außerordentlich aufgeschlossener Schulaufwandsträger überzeugen lassen, diese Kosten dankenswerterweise für alle unsere Schülerinnen und Schüler sowie für alle Lehrpersonen unserer Schule und derer des gesamten Landkreises zu übernehmen. Für einzelne Schulen oder Fachschaften käme aber auch die Nutzung diverser Medienbudgets in Frage. Die bayerischen Schulen verfügen hierfür zum Beispiel über ein eigenes KI- und Medienbudget, welches dafür aufgewandt werden könnte.

Hoffnung in Zeiten der Desinformation
In einer Welt, in der Desinformation und verzerrte Wahrheiten immer mehr Raum einnehmen, wird die Förderung von Lesekompetenz und kritischem Denken in unseren Schulen wichtiger denn je. Der Einsatz von buzzard.org bietet nicht nur einen klaren Weg, um Schülerinnen und Schüler aus ihren Filterblasen zu befreien, sondern auch eine Plattform, um verschiedene Perspektiven zu beleuchten und darüber zu diskutieren. Durch das strukturierte Lesen und den Austausch von Argumenten lernen Jugendliche, Informationen nicht nur zu konsumieren, sondern sie aktiv zu hinterfragen und in einen größeren Kontext zu setzen.

Es gibt Grund zur Hoffnung: Indem wir junge Menschen mit den notwendigen Werkzeugen ausstatten, um in einer komplexen Informationslandschaft voll von Unschärfen sicher zu navigieren, schaffen wir die Basis für eine informierte und engagierte Gesellschaft. buzzard.org zeigt auf, dass es möglich ist, respektvoll und fundiert über kontroverse Themen zu diskutieren – ganz ohne die schrillen und oft aggressiven Debatten, die wir in den sozialen Medien beobachten.

Gleichzeitig müssen wir uns der Herausforderungen bewusst sein, die uns die digitale Welt stellt. Desinformation kann sich wie ein Lauffeuer verbreiten und das Vertrauen in seriöse Quellen untergraben. Es liegt an uns, als Pädagoginnen und Pädagogen sowie Eltern, diese Gefahren zu erkennen und aktiv dagegen zu steuern. Mit buzzard.org haben wir die Möglichkeit, nicht nur die Lesekompetenz unserer Schülerinnen und Schüler zu stärken, sondern sie auch zu kritisch Denkenden zu erziehen, die in der Lage sind, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden.

Letztlich liegt die Zukunft in den Händen unserer Schülerinnen und Schüler. Wenn wir sie befähigen, sich sicher und informiert in der digitalen Welt zu bewegen, geben wir ihnen nicht nur die Werkzeuge an die Hand, sondern auch die Hoffnung auf eine bessere, aufgeklärte Gesellschaft.


Der Autor: Realschullehrer für die Fächer Englisch/Kunst/Werken und IT an der Staatlichen Realschule Bessenbach und medienpädagogischer Berater digitale Bildung (mBdB) an den Realschulen im Aufsichtsbezirk Unterfranken (BY)


Die Reihe: „Gesellschaft von morgen wird sein, was Schule heute ist.“ Unter diesem Leitwort trägt die Katholische Elternschaft Deutschlands (KED) Best-practice-Beispiele aus der schulischen Arbeit zusammen. Im Fokus steht die Stärkung demokratischer Werte.