Bericht über die Veranstaltung zum 26. Jahrgedächtnis von Joseph Kardinal Höffner am 20. Oktober 2013 in der „Residenz am Dom“ in Köln
Plädoyer für eine gerechte Reformpolitik und eine Stärkung der Familien
(c) Christian Dick
Foto vlnr: Prof. Dr. Manfred Spieker, Thomas Nickel (Vorsitzender des Diözesanrates), Prof. Dr. Jörg Althammer, Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer, Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Werner Münch, Prof. Dr. Dr. h.c. Lothar Roos
Der Förderung des geistigen und geistlichen Erbes eines der Vorkämpfer der Christlichen Gesellschaftslehre, Joseph Kardinal Höffner, hat sich die 2002 in Köln gegründete Joseph-Höffner-Gesellschaft (JHG) verschrieben. Anlässlich des 26. Todestages von Kardinal Höffner luden die Joseph-Höffner-Gesellschaft und der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln am 20. Oktober 2013 nach einem Pontifikalamt mit Joachim Kardinal Meisner zu einer Vortragsveranstaltung mit anschließender Diskussion ein. Dabei sprach Professor Dr. Jörg Althammer von der Universität Eichstätt-Ingolstadt zum Thema „Dringliche Aufgaben der Sozial- und Familienpolitik angesichts des demographischen Wandels“.
Thomas Nickel, Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum Köln, unterstrich die Rolle Kardinal Höffners als Verfechter der sozialen Gerechtigkeit, dessen Gedanken auch für den Diözesanrat äußerste Priorität haben.
Wie kein anderer Fachvertreter der Katholischen Soziallehre, so erklärte Weihbischof Manfred Melzer in seinem Grußwort, sei Joseph Höffner von 1953 bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Münster 1962 an der „Mitgestaltung“ der Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland beteiligt gewesen. Melzer verwies besonders auf die Sorge Höffners um die Rolle und die Bedeutung der Mütter in den ersten Lebensjahren der Kinder und auf dessen Mitwirken bei der Konzeption der „dynamischen Rente“ von 1957.
Der Bonner Professor und Vorsitzende der JHG, Lothar Roos, betonte in seiner Begrüßungsrede: „Wir werden ärmer an Kindern, ärmer an Moral und ärmer an Glauben. Und die Armut an Glauben, das lässt sich empirisch nachweisen, ist die Hauptursache für die Armut an Kindern und an Moral. Wie gehen wir mit einer solchen Situation um, für die es in der gesamten Geschichte der modernen Gesellschaft bisher kein Beispiel gibt? Klar ist: Der Staat kann ein Volk, das keine Lust verspürt, biologisch und kulturell zu überleben, nicht daran hindern, ‚sich selbst aufzugeben’, wie der Bevölkerungswissenschaftler Herweg Birg einmal formuliert hat. Seine Aufgabe aber ist es, so Benedikt XVI., ‚für Gerechtigkeit zu sorgen’, d.h. mindestens dafür, dass nicht die Einen die Zeche für das Fehlverhalten der Anderen zahlen müssen. Was aber heißt das konkret ?“
Diese Frage beleuchtete Professor Dr. Jörg Althammer in differenzierter Weise. Die derzeitige Verfassung des deutschen Sozialstaats befand er „erstaunlich gut“. So sei etwa der Rentenversicherungsbeitrag abgesenkt und die Leistungen der Pflegeversicherung seien ausgeweitet worden, und dies, obwohl Deutschland noch im Jahre 2008 mit der stärksten wirtschaftlichen Rezession seit der Nachkriegsgeschichte gekämpft habe. Maßnahmen, wie etwa das Kurzarbeitergeld, hätten zur Überwindung der Krise einen großen Beitrag geleistet. „Dieser Vorgang hat deutlich gemacht, welch hohes Gut unser Sozialstaat und wie unverzichtbar er für Wirtschaft und Gesellschaft ist“, so Althammer. Genauso notwendig seien aber auch tiefgreifende Reformen des Sozialstaats. Und diese müssten genau zum jetzigen Zeitpunkt der Bildung der neuen Bundesregierung in Angriff genommen werden. Bei Reformen, so konstatierte er, gebe es immer „Verlierer und Gewinner“. Es gelte daher, die Lasten transparent auszuweisen. Reformen seien aber dringend notwendig. Dies sei die entscheidende Bewährungsprobe für die Politik in naher Zukunft. Derzeit liegt laut Althammer der „Altenquotient“, also der Anteil der über 65-Jährigen in der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bei etwas unter einem Drittel. In den nächsten 20 Jahren werde sich dieser Anteil auf fast 60 Prozent erhöhen, also verdoppeln. Es sei wichtig, dass die künftige Bundesregierung die Gestaltung des demographischen Wandels als einen der zentralen Politikbereiche begreift, so Althammer. Er wies allerdings mit Vehemenz darauf hin, dass dies keine rein technische Reform sein könne, es müsse vielmehr eine ethische Komponente hinzukommen. Es gelte, in sozial gerechter und gesellschaftlich akzeptabler Weise zu reformieren. Und hierbei spielen nach Althammers Einschätzung die Kirchen eine zentrale Rolle.
Als Ursachen für die demographische Entwicklung nannte Althammer den Rückgang der Geburtenrate und die deutlich zunehmende Lebenserwartung. Männer im Alter von 60 Jahren habe derzeit noch eine Lebenserwartung von 21, Frauen von 25 Jahren. Anfang der 1960er Jahre war die Lebenserwartung um 6 Jahre niedriger. Die durchschnittliche Lebenserwartung nimmt pro Jahrzehnt um 1 Jahr zu. Bis zum Jahr 2060 prognostiziert die amtliche Statistik laut Althammer folgendes: Männer im Alter von 60 Jahren werden dann eine Lebenserwartung von durchschnittlich 27 und Frauen von 30 Jahren haben. Die höhere Lebenserwartung, so Althammer, liege an der heute effektiveren Gesundheitsversorgung und an der besseren wirtschaftlichen Lage. Habe die Zahl der Kinder pro Frau 1960 noch 2,1 betragen, so betrage sie seit 1975 nur noch 1,4 Kinder pro Frau. Deutschland sei damit das Land mit der niedrigsten Geburtenrate weltweit, was man im Englischen mit „lowest low fertility“ bezeichnet. Als problematisch beschrieb Althammer die signifikante Zunahme Kinderloser und den dramatischen Rückgang kinderreicher Familien. Sein Fazit lautete: „Die Bevölkerung wird in Zukunft deutlich abnehmen und deutlich altern. Zu Alarmismus besteht allerdings keine Notwendigkeit, wenn man diese Entwicklung richtig steuert.“ Die Konsequenz, daraus sei, dass ein Sozialsystem, das auf einem Generationenvertrag beruhe, entsprechend verändert werden müsse. Der soziale Ausgleich und der soziale Zusammenhalt, so mahnte Althammer, dürften dabei nicht zur Disposition gestellt werden. Die Deutsche Bischofskonferenz habe formuliert: „Wir müssen das Soziale neu denken.“
Im Bereich der Rentenpolitik könne die private Altersvorsorge nur ergänzend wirken, es müsse auch weiterhin eine Umlagefinanzierung geben, so Althammer. Die Rentenreform sei vor allem eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Hier gebe es die Ebenen der „inter-generationalen Gerechtigkeit“, bei der betrachtet werde, inwieweit unterschiedliche Generationen von bestimmten Maßnahmen getroffen würden, und um die Ebene der „intra-generationalen Gerechtigkeit“, bei der in den Blick genommen werde, inwieweit die Mitglieder einer Generation von bestimmten Maßnahmen unterschiedlich getroffen würden. Wenn in der Rentenversicherung das Verhältnis zwischen den Beitragsbeziehern und den Beitragszahlern steige, so gebe es nur die Alternativen sinkende Leistungen oder steigende Beiträge. Der Anstieg des Renteneintrittsalters mit 67 sei sozial gerecht und längst überfällig. Dabei könne es allerdings nicht bleiben. Es gehe vielmehr um die Verhinderung eines weiteren Anstiegs der Leistungen der Rentenversicherung. Auch die Rente mit 70 schloss Althammer nicht aus, wobei es hier aber keine Pauschallösungen gebe und für bestimmte Berufsgruppen flexible Lösungen notwendig seien.
„Man kann keine Sozialpolitik gegen die Mathematik machen“, dies habe schon Kardinal Höffner festgestellt, so Althammer. Und so müsse eine kinderarme Gesellschaft mit entsprechenden Abstrichen rechnen. Denn die Kinder von heute seien die Beitrags- und Steuerzahler von morgen. Deshalb sprach sich Althammer mit großem Nachdruck für eine deutliche Stärkung der Familien aus. Er kritisierte stark, dass der Beitrag von Eltern, vor allem ihre Erziehungsleistungen, in der Sozialversicherung nicht angemessen berücksichtigt werde. Deshalb habe auch der damalige Bundesgeschäftsführer des Bundes Katholischer Unternehmer, Wilfried Schreiber, schon 1955 nicht nur eine Alters-, sondern auch eine Kindheits- und Jugendrente („Schreiber-Plan“) gefordert.
Die gegenwärtig diskutierte Anerkennung der Kindererziehungszeit für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren worden seien, sei kein Element des Solidarausgleichs, sondern der Äquivalenz von Leistungen. Außerdem verwahrte sich Althammer in aller Deutlichkeit gegen eventuelle Änderungen oder eine Abschaffung des Ehegattensplittings. Denn die Ehe sei eine auf Dauer angelegte Verbrauchs-, Wirtschafts- und Erwerbsgemeinschaft. Es gelte außerdem, die Familie, im Unterschied zur eingetragenen Partnerschaft, gezielt zu fördern, da die Familie auf Grund der Bedeutung der Kindererziehung für den Sozialstaat einen besonderen Stellenwert habe.
Christian Dick
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