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Ansprache Prof. Dr. Ulrich von Hehl (Leipzig) bei der Vorstellung des Bandes:

Norbert Trippen, Joseph Kardinal Höffner (1906-1987),

Bd. 1: Lebensweg und Wirken als christlicher Sozialwissenschaftler bis 1962,

Paderborn 2009, am 2. April 2009 im Maternushaus, Köln

 

Nur vier Jahre nach der Präsentation des abschließenden zweiten Bandes der Frings-Biographie von Norbert Trippen habe ich heute die Freude, auch der Vorstellung seines Bandes über Frings’ Nachfolger Joseph Höffner beiwohnen zu dürfen, genauer gesagt des ersten einer gleichfalls auf zwei Bände angelegten Lebensbeschreibung. Im heute präsentierten Band schildert Trippen das Wirken Höffners als christlicher Sozialwissenschaftler. Die anschließenden Bischofsjahre in Münster und Köln werden in einem Folgeband dargestellt, an dem unser Autor bereits mit der ihm eigenen Tatkraft und Gewissenhaftigkeit arbeitet, seitdem die Oberhirten der beiden Diözesen in nobler und weitsichtiger Weise den Aktenzugang gewährt haben. So kann ich mich meinem verehrten Vorredner nur anschließen: Wir wünschen dem Autor Gesundheit und Kraft, um das große Werk abzuschließen, und die Kommission für Zeitgeschichte hofft, auch diesen Band in absehbarer Zeit in ihrer Veröffentlichungsreihe und in der bewährten, dankbar vermerkten Zusammenarbeit mit dem Verlag Schöningh herausbringen zu können.

 

Höffners Beitrag zum Sozialkatholizismus und zur Sozialgesetzgebung der alten Bundesrepublik fällt in die Jahre 1951-1962, während derer er als Professor für Christliche Sozialwissenschaften in Münster lehrte und dem von ihm gegründeten und schon bald hochrenommierten Institut für Christliche Sozialwissenschaften vorstand. Das Geheimnis dieses so außerordentlich erfolgreichen Wirkens, das trotz Höffners geradezu sprichwörtlicher Bescheidenheit und Zurückhaltung weit über die normalen Einflußmöglichkeiten eines Universitätsprofessors hinausreichte, wird man nach Trippens Forschungen vor allem drei Umständen zuschreiben müssen:

 

1. Höffners hoher Intelligenz und seiner ganz ungewöhnlich breiten und gründlichen Ausbildung in den Fächern Theologie, Philosophie, Volkswirtschaft und Soziologie, die er in Trier, an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom sowie an der Universität Freiburg im Breisgau erhielt und die der vierfach promovierte Theologe und Volkswirt 1944 mit einer noch heute lesenswerten Habilitationsschrift zur spanischen Kolonialethik im Siglo de Oro abschloß.

 

2. wird man ein Erbteil seiner kleinbäuerlichen Vorfahren anführen müssen: seinen außerordentlichen Fleiß, der kaum Mußestunden kannte; seine Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit bei der Erledigung der vielfältigen Aufgaben in Kirche, Universität, Gesellschaft und Politik; ferner seine tiefe, man möchte sagen: fast kindlich-naive Frömmigkeit, die ihn auszeichnete; endlich seine ganz selbstverständliche Nähe zu den Menschen und ihren Problemen, die ihn seine seelsorglichen Pflichten immer sehr ernst nehmen ließ, ihn freilich auch in die Lage versetzte, nüchtern und mit Blick für das Wesentliche den „richtigen“ Rat zu geben.

 

3. darf nicht vergessen werden, daß die äußeren Umstände für Höffners Wirken als Christlicher Sozialwissenschaftler günstig waren, sind die 50er und frühen 60er Jahre doch nahezu deckungsgleich mit der Ära Adenauer, welche trotz aller Mäkeleien zeitgenössischer oder späterer Kritiker ein Glücksfall in der neueren deutschen Geschichte war: Nie haben die deutschen Katholiken nach anderthalb Jahrhunderten der Zurücksetzung mehr Grund gehabt, sich in „ihrem“ Staat zu Hause zu fühlen, und nie haben sie die Gesetzgebung stärker beeinflussen können als in jenen Jahren. Ich zögere nicht, hinzuzufügen: zum Besten von Volk und westdeutschem Kernstaat. Höffner dürfte wie kaum ein zweiter in diesen Jahren die Initiativen des deutschen Sozialkatholizismus und über sie die bundesdeutsche Gesetzgebung beeinflußt haben.

 

Welche Initiativen sind hier in einem kurzen Überblick vor allem zu nennen?

 

Höffners akademische Lehrtätigkeit, zunächst in Trier, seit 1951 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, verdiente ohne Zweifel einen eigenen Vortrag. Ihre weit über Münster hinausstrahlende Wirkung erklärt sich nicht zuletzt aus Höffners fachübergreifenden Interessen, die ihn neben seiner Verankerung in der Katholisch-Theologischen Fakultät auch in der Rechts- und staatswissenschaftlichen sowie in der Philosophischen Fakultät wirken ließ. In allen dreien galt er als Autorität. Es ist bezeichnend, daß von Höffners 29 Doktoranden nur 6 zum Dr. theol., 11 zum Dr. rer.pol. und 12 zum Dr. phil. promoviert wurden.

 

Einflußreicher wurde Höffner jedoch durch seine außeruniversitäre Wirksamkeit. So gewann ihn der 1949 gegründete Bund Katholischer Unternehmer als „Geistlichen Beirat“, woraus eine langjährige ertragreiche Zusammenarbeit erwuchs, deren Früchte nicht zuletzt Höffners Studenten zugute kamen. Ehrenamtlich war auch Höffners Beratertätigkeit für das Sozialreferat des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken sowie für entsprechende diözesane Einrichtungen. Gleiches gilt für langjährige Mitarbeit in der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach, in der Görres-Gesellschaft oder in der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Über hier geknüpfte Kontakte mit Paul Mikat war Höffner auch maßgeblich an den vorbereitenden Arbeiten zur Gründung der Ruhr-Universität Bochum beteiligt, übrigens als Sozialwissenschaftler, nicht als Theologe, was gleichwohl auch der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bochum zugute gekommen ist. Und wie die hier erwähnten suchten sich auch andere Gremien seines Rates zu versichern. Die Bischöfe hatten in ihm einen stets zuverlässigen Ansprechpartner, etwa in Fragen der Arbeiterseelsorge, sprach sich doch bald herum, daß Höffner bei all’ seinen schätzenswerten Eigenschaften über eine nicht verfügte, die nämlich, nein sagen zu können, wenn es, wie man früher zu sagen pflegte, um die „gute Sache“ ging.

 

Politisch und historisch folgenreicher aber wurde ohne Zweifel seine Mitarbeit in den Beiräten der Bundesministerien für Arbeit und Soziales, für Familienfragen und für Wohnungsbau, weil hier der Einsatz eines Christlichen Sozialwissenschaftlers ganz unmittelbare praktische Auswirkungen haben konnte. So wirkte Höffner seit 1953 in einem „Beirat“ an der von Bundeskanzler Adenauer ins Auge gefaßten „umfassenden Sozialreform“ mit, wobei durch Höffners Doktoranden Paul Adenauer, Adenauers jüngsten Sohn, ein ganz persönlicher Kontakt zum Bundeskanzler hergestellt wurde. Höffners Vorschläge fanden u. a. ihren Niederschlag in einer großen, 1955 fertiggestellten (Rothenfelser) Denkschrift, die grundsätzliche Einsichten in den gesellschaftlichen Wandel mit konkreten Vorschlägen für eine Reform der sozialen Sicherungssysteme verband. Die wohl wichtigste Frucht solcher Überlegungen war die Große Rentenreform von 1957 mit der Einführung der dynamischen Altersrente, deren Ausgestaltung Höffner stark mitbeeinflußt hat. Diese Rentenreform hat entscheidend dazu beigetragen, die damals noch bescheiden abgesicherte ältere Generation am wachsenden Massenwohlstand teilhaben zu lassen. Daß heute eine gegenteilige Situation eingetreten ist, daß eine schrumpfende Erwerbsgeneration immer größer werdende Versorgungslasten zu schultern hat bei ständig schrumpfenden eigenen Ansprüchen und daß schon angesichts des Unwesens der Frühverrentung von einem „Generationenvertrag“ seit langem keine Rede mehr sein kann, haben weder Höffner noch die übrigen Architekten der „dynamischen Rente“ voraussehen können.

 

Da Höffner hier wie anderwärts nicht über Probleme urteilte, von denen er nichts verstand, sondern stets als ausgewiesener Sozialwissenschaftler, dies freilich mit dem Hintergrund des Theologen, der den Menschen in Gottes Schöpfungsordnung gestellt sieht, war sein Rat gleichermaßen in Wirtschafts- wie Gewerkschaftskreisen geschätzt. Denn ein Ideologe, ein Scharfmacher war Höffner nie, vielmehr ein – allerdings sehr grundsatzfester – Brückenbauer. Diese breite Akzeptanz kam auch seiner Beratertätigkeit für das Familien- und das Bauministerium zugute, wo freilich neben dem Volkswirtschaftler auch der christliche Sozialethiker gefordert war. Höffners aus der Soziallehre der Kirche geschöpfte Einsichten verdichteten sich etwa in Überlegungen zu einem familiengerechten Einkommen oder der Förderung des familienfreundlichen Wohnungsbaus. Dies alles waren langfristige, zahllose Beiratssitzungen und schriftliche Ausarbeitungen umfassende Beratertätigkeiten, bei denen man sich immer wieder fragt, woher Höffner neben seinen vielfältigen Münsteraner Verpflichtungen die Zeit zu diesem ungewöhnlichen Einsatz genommen hat. Denn hinzu traten immer wieder auch andere Anforderungen, etwa seine skeptische Stellungnahme zur „gleitenden Arbeitswoche“ oder sein nachdrücklicher Einsatz für den Erhalt des Sonntags.

 

Höffner hat mit zahllosen sozialwissenschaftlichen und sozialethischen Schriften die öffentliche Diskussion belebt, aber er hat sie deutlich weniger polarisiert hat als gleichzeitig Oswald von Nell-Breuning. Keine von Höffners Schriften hat eine solch große Wirkung erzielt wie sein 1962 erschienenes Buch „Christliche Gesellschaftslehre“, das mittlerweile in der 9. Auflage vorliegt. Er hat es vor seiner Ernennung zum Bischof von Münster verfaßt, doch das Vorwort auf den Tag seiner Bischofsweihe datiert. Es wurde das bekannteste seiner Werke und in die wichtigsten Weltsprachen übersetzt, vielleicht weil Höffner bei der Niederschrift seine heterogene Münsteraner Hörerschaft vor Augen gehabt hatte, die aus Theologen, Volkswirten und Philologen bestand, was zu besonders klarer Strukturierung des Stoffs und allgemein verständlicher Ausdrucksweise zwang. Daher wirkt seine Darstellung bis heute nicht überholt. Namentlich ein Leitsatz Höffners, den er schon 1953 formuliert hat, ist angesichts der augenblicklichen Diskussion überraschend aktuell: „Unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild ist die totale Staatsversorgung, da sie als krasse Verneinung jeder Subsidiarität die Selbstverantwortung zerstört und die Freiheit des Menschen bedroht“. Die Freiheit des Christen (wie des nichtchristlichen Staatsbürgers) war Höffner zeitlebens ein zu kostbares Gut, als daß es nicht alle Anstrengungen gerechtfertigt hätte. Das hatten ihn schon die Erfahrungen mit den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts gelehrt.

 

Wer so klar und nüchtern die Dinge auf den Punkt zu bringen wußte, darf nicht dem Vergessen einer schnellebigen Zeit anheim fallen. Ich wünsche Norbert Trippens 1. Band seiner Höffner-Biographie daher viele Leserinnen und Leser. Sie werden die Lektüre des gut geschriebenen, im besten Wortsinne unterhaltsamen Buches mit großem Gewinn abschließen.

 

Prof. Dr. Ulrich von Hehl (Leipzig)

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