Aus Frust wird Glück
Mein spontanes Jahr in Argentinien
Das Kinderheim wurde 1962 von einem Redemptoristenpater gegründet und besitzt mittlerweile 16 Häuser (casas) in der Provinz Córdoba mit unterschiedlichen Funktionen, die sich insgesamt um über 300 Menschen kümmern. Zumeist Sozialwaisen deren Eltern im Gefängnis, in Prostitution, in extremer Armut oder in Drogenabhängigkeit befinden. Neun von diesen casas stehen in Villa Allende. Zu den wichtigsten Häusern gehören ein Haus mit zirka 80 Mädchen und das benachbarte Jungenhaus mit 37 Jungs. In der Nähe liegt dann auch noch ein Haus für die älteren Jungs, die dabei sind die Schule abzuschließen. Danach haben sie die Möglichkeit in einem zusätzlichen Haus in der Stadt Córdoba zu leben, um an der Universität zu studieren oder auch nach Arbeit zu suchen.
Weiterhin gibt es in Villa Allende noch zwei Häuser für Menschen mit Behinderungen, eines für Menschen körperliche Behinderung (15 chicos) und das andere für Menschen geistiger Behinderung (51 chicos). Für diese Jungs und Mädels hat das Projekt, welches zum Teil aus Spenden und zum großen Teil von der argentinischen Regierung finanziert wird, auch zwei Schulen und Werkstätten. Hierdurch wird den „chicos especial“ nicht nur eine Zuhause mit Verpflegung gewährleistet, sondern bietet Ihnen auch die Möglichkeit sich körperlich und geistig weiterzubilden. Ein weiteres Behindertenhaus gibt es in Ascochinga mit 21 Menschen, die etwas unabhängiger und eigenständiger leben können als diejenigen in Villa Allende.
Das letzte Haus, welche ich erwähnen möchte und mit dem ich gelegentlich in Kontakt komme, liegt auch in Villa Allende und sorgt sich um ältere Menschen, die sich kein Altersheim leisten können und hier versorgt werden.
Ich arbeite nun seit September 2009 in diesem Projekt und versuche nun so gut wie möglich vorzustellen was ich mir als Aufgaben vorgenommen habe.
Kurz zu mir: Im Jahr 2008 habe ich meine Hochschulreife abgeschlossen und direkt angefangen – da ich bis dahin noch nichts konkretes von der Bundeswehr gehört habe – an der Universität Köln Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Im 2. Semester kam dann der Einberufungsbescheid. Zuerst war ich sehr unglücklich und frustriert über die Situation, dass das Kreiswehrersatzamt laut Verfassung das Recht hat junge Studenten ohne weiteres aus dem Studium zu ziehen.
Dann kam es mir sehr gelegen, dass ich durch meine Jugendarbeit bei der Malteser Jugend in Köln auf die Freiwilligen Sozialen Dienste im Erzbistum Köln aufmerksam wurde. Hierdurch entstand der Kontakt zu den Redemptoristen, die mir trotz kurzfristiger Anmeldungen eine schnelle Zusage ermöglicht haben.
Danach ging alles schnell: Ich habe meine letzten Klausuren für das 2. Semester an der Universität geschrieben und mich dann schon auf dem Vorbereitungsseminar in Bonn mit den anderen Volunteers befunden.
Jetzt bin ich seit ungefähr vier Monaten in Argentinien und freue mich über die Möglichkeit meiner gesammelten Erfahrungen berichten zu können:
Morgens treffe ich mich mit anderen Volunteers aus Belgien, England, Australien etc. und den älteren argentinischen Jungs, welche als Leiter fungieren, um am Kinderheim (hogar) etwas handwerklich zu arbeiten. Wie oben beschrieben gibt es viele Häuser, große Grundstücke und demnach stets etwas zu tun. Es muss ständig etwas gestrichen, geputzt, aufgeräumt, geschleppt, besorgt, repariert oder neugebaut werden.
In den ersten Wochen haben wir bereits geholfen das Bad des Jungenhauses zu fertigen, ein Dach zu reparieren, die Zimmer der Jungs wieder weiß zu streichen und Wasserröhre zu einem anderen Haus zu verlegen. Zur Zeit arbeiten wir an einem Haus in dem bald die älteren Mädchen einziehen sollen. Auch wenn sich dies nach viel Arbeit anhört muss man ehrlicherweise sagen, dass Argentinier eher eine entspannte Arbeitsmoral besitzen. Man gewöhnt sich allerdings schnell an die Lebensart der Argentinier und empfindet sie später in der Regel als entspannter und angenehmer als der in Deutschland.
Vormittags verlasse ich dann die anderen Jungs, um im „Haus 5“ (casa 5), welches sich zirka 10 Minuten zu Fuß entfernt befindet, beim Mittagessen zu helfen. Hier leben 15 behinderte Mädchen und Jungs in unterschiedlichem Alter, die zum Teil nur in Rollstühlen bewegt werden können. Diese werden dann von uns gefüttert. Was man zuerst als schwer und anstrengend empfindet, wird später zu einer interessanten Arbeit, denn nach ein paar Wochen hat man sich an die Arbeit gewöhnt und weiß wie man mit den Jungs umzugehen hat. Sie reagieren alle unterschiedlich auf dein Verhalten und wenn man dann es geschafft hat sie zum Lachen zu bringen, hat man schon ein gutes Gefühl. Nach dem Essen werden sie dann ins Bett gebracht. Davor aber bekommen sie die Zähne geputzt und die Windel gewechselt. Auch der zweite Teil hört sich schwieriger und unangenehmer an als er letztendlich ist. Entscheidend ist, dass man sich am Anfang überwinden muss und es versuche. Mittlerweile würde ich meinen Tag ohne meine Arbeit im Behindertenhaus als langweilig ansehen. Ich freue mich nun, wenn man aus dem lauten „Haus 2“ mit 37 Jungs, die ständig Aufmerksamkeit wollen, ins ruhige casa 5 kommt. Sind die Jungs zu Bett wird mit den anderen Helfern zu Mittag gegessen bis die „Siesta“ beginnt.
Wohl die Sache, an die ich mich am meisten gewöhnen musste. Denn siesta, dass die ganzen Leute mitten am Tag für zwei bis drei Stunden aufhören zu arbeiten, um ein Mittagsschläfchen einzulegen. Abgesehen von dem Supermarkt und der Eisdiele sind alle Läden geschlossen. Selbst im hogar ruhen sich die Jungs vor dem Fernseher aus. Nachdem alle Eissorten probiert und der Supermarkt sich nicht verändert hat, musste ich mir eine neue Beschäftigung suchen. Nun gehe ich erst auf dem Sportplatz joggen und danach wird mit dem Jungs geredet bis am Nachmittag wieder gearbeitet wird. In der Regel wird die Arbeit vom Morgen fortgeführt. Das heißt es wird wieder Zement gemischt, Steine geschleppt und Wände gestrichen.
Aber die Arbeit mit den Jungs und ihrer offenen Art macht so ziemlich immer Spaß. Selbst wenn wir auf einem LKW sitzend die Mülltonen der einzelnen Häuser einsammeln und auf die Kippe fahre oder Holz im Wald sägen, um es später auf dem Hof klein zu hacken, ist stets eine angenehme Arbeit, da man sie stets gemeinschaftlich ausübt und sich somit nie alleine fühlt.
Nachdem die Jungs gegen 17 Uhr ihre Vanillemilch mit Brot verzehrt haben, machen wir uns wieder auf den Weg ins casa 5, um beim Abendessen und „ins-Bett-bringen“ zu helfen. Insgesamt ein langer Tag, der aber von mir nur sehr selten als anstrengend empfunden wird, da ich weiß, dass ich vieles als freiwillig und nicht als Pflicht ansehen kann.
Zuhause wird sich dann bisschen ausgeruht, um später beim Abendessen mit der Gastfamilie über den Tag, die deutsche Kultur und das Leben in Argentinien zu sprechen.
Eine Ausnahme in der Woche bildet der Mittwoch, welchen wir im Redemptoristen Kloster in Villa Allende verbringen, um uns mit den Padres und den Postulanten (angehenden Priester) austauschen. Am Nachmittag wird dann mit den Postulanten und einigen sportlichen Padres Fußball oder Volleyball gespielt. Zwischenzeitlich nutzen wir den guten Internetanschluss im Kloster, um mit unseren Familien und Freunden E-Mails zu schreiben. Abends gibt es dann die Messe, welche sich viel familiärer anfühlt als in Deutschland. Das fängt schon damit an das sich der Priester und die Gemeinde mit „buenas tardes“ begrüßen und gelegentlich die Katze während der Messe herum trabt.
Mittlerweile kann ich mich nur beim Kreiswehrersatzamt bedanken, dass sie mir durch die Einberufung ermöglicht hat diese Erfahrungen zu erleben. Einen herzlichen Dank auch dem Freiwilligen Sozialen Dienste des Erzbistum Kölns und dem Redemptoristen für eine unglaubliche Zeit, die ich jetzt schon nicht mehr vergessen werde.
Liebe Grüße aus Cordoba!
Hans-Dieter